Huang Dsun-hsjän
      
1848-1904, Südchina. 
          Belebte die traditionelle chinesische Poesie sowohl formal 
    durch Einbezug der "Berglieder" seiner Heimat als auch 
    mit den Eindrücken, die er als Diplomat in Japan, England 
    und Amerika gewann.
      
 
     
      
      London im Nebel
          [Auszug] 
      Ein Land, das die Sonne verloren hat, 
        ein dämmriges, schummriges, schlummriges Land.
        Seit Monaten sitz ich in dieser Stadt
        in meinem Stübchen und bet an der Wand
        den Buddha des Lampenlichts an.
        Hier spenden nur noch die Lampen Licht.
        Ob es draußen Nacht, ob der Tag schon begann,
        wo Norden, wo Süden, wo Osten und Westen,
        das merkt man im Qualme der Nebel nicht,
        die rauchig die Stadt verpesten.
        Mühselig ist's, auf den Straßen zu gehn.
        Kaum wagt man darüberzuschreiten.
        Die Wagen wie Kücken beisammenstehn.
        Geläut und Geklingel von allen Seiten.
        Und öffnet im Nebel sich plötzlich ein Spalt,
        erscheint wie ein düsteres blutrotes Rad
        die Sonne - glanzlos und frierend und kalt -
        über der rauchigen Stadt.
        Man sagt, daß die Erde die Sonne umkreist,
        daß auf allen fünf Kontinenten
        die Sonne auf Englands Besitzungen gleißt,
        daß in dem Reiche, das England heißt,
        der Sonne Strahlen nie enden.
        Wer hätte gedacht, daß diese Stadt,
        die fünf Kontinente knebelt,
        so wenig Licht und Wärme hat
        und so rauchig ist und vernebelt!
      [aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]