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Die von Trakl außerhalb seiner Zyklen "Gedichte" und "Sebastian im Traum" publizierten Texte sind in zwei Rubriken eingeteilt::

Veröffentlichungen in der Zeitschrift Brenner 1914/5

Sonstige Veröffentlichungen zu Lebzeiten
(Lyrik - Prosa - Rezensionen)

 


 

Veröffentlichungen im Brenner 1914/5

 

In Hellbrunn

Wieder folgend der blauen Klage des Abends
Am Hügel hin, am Frühlingsweiher -
Als schwebten darüber die Schatten lange Verstorbener,
Die Schatten der Kirchenfürsten, edler Frauen -
Schon blühen ihre Blumen, die ernsten Veilchen
Im Abendgrund, rauscht des blauen Quells
Kristallne Woge. So geistlich ergrünen
Die Eichen über den vergessenen Pfaden der Toten,
Die goldene Wolke über dem Weiher.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Hellbrunn

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Das Herz

Das wilde Herz ward weiß am Wald;
O dunkle Angst
Des Todes, so das Gold
In grauer Wolke starb.
Novemberabend.
Am kahlen Tor am Schlachthaus stand
Der armen Frauen Schar;
In jeden Korb
Fiel faules Fleisch und Eingeweid;
Verfluchte Kost!

Des Abends blaue Taube
Brachte nicht Versöhnung.
Dunkler Trompetenruf
Durchfuhr der Ulmen
Nasses Goldlaub,
Eine zerfetzte Fahne
Vom Blute rauchend,
Daß in wilder Schwermut
Hinlauscht ein Mann.
O! ihr ehernen Zeiten
Begraben dort im Abendrot.

Aus dunklem Hausflur trat
Die goldne Gestalt
Der Jünglingin
Umgeben von bleichen Monden,
Herbstlicher Hofstaat,
Zerknickten schwarze Tannen
Im Nachtsturm,
Die steile Festung.
O Herz
Hinüberschimmernd in schneeige Kühle.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Der Schlaf

Verflucht ihr dunklen Gifte,
Weißer Schlaf!
Dieser höchst seltsame Garten
Dämmernder Bäume
Erfüllt von Schlangen, Nachtfaltern,
Spinnen, Fledermäusen.
Fremdling! Dein verlorner Schatten
Im Abendrot,
Ein finsterer Korsar
Im salzigen Meer der Trübsal.
Aufflattern weiße Vögel am Nachtsaum
Über stürzenden Städten
Von Stahl.

 

Fassung: 2.
Zur Vorfassung im Nachlass.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Das Gewitter

Ihr wilden Gebirge, der Adler
Erhabene Trauer.
Goldnes Gewölk
Raucht über steinerner Öde.
Geduldige Stille odmen die Föhren,
Die schwarzen Lämmer am Abgrund,
Wo plötzlich die Bläue
Seltsam verstummt,
Das sanfte Summen der Hummeln.
O grüne Blume -
O Schweigen.

Traumhaft erschüttern des Wildbachs
Dunkle Geister das Herz,
Finsternis,
Die über die Schluchten hereinbricht!
Weiße Stimmen
Irrend durch schaurige Vorhöfe,
Zerrißne Terrassen,
Der Väter gewaltiger Groll, die Klage
Der Mütter,
Des Knaben goldener Kriegsschrei
Und Ungebornes
Seufzend aus blinden Augen.

O Schmerz, du flammendes Anschaun
Der großen Seele!
Schon zuckt im schwarzen Gewühl
Der Rosse und Wagen
Ein rosenschauriger Blitz
In die tönende Fichte.
Magnetische Kühle
Umschwebt dies stolze Haupt,
Glühende Schwermut
Eines zürnenden Gottes.

Angst, du giftige Schlange,
Schwarze, stirb im Gestein!
Da stürzen der Tränen
Wilde Ströme herab,
Sturm-Erbarmen,
Hallen in drohenden Donnern
Die schneeigen Gipfel rings.
Feuer
Läutert zerrissene Nacht.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Der Abend

Mit toten Heldengestalten
Erfüllst du Mond
Die schweigenden Wälder,
Sichelmond -
Mit der sanften Umarmung
Der Liebenden,
Den Schatten berühmter Zeiten
Die modernden Felsen rings;
So bläulich erstrahlt es
Gegen die Stadt hin,
Wo kalt und böse
Ein verwesend Geschlecht wohnt,
Der weißen Enkel
Dunkle Zukunft bereitet.
Ihr mondverschlungnen Schatten
Aufseufzend im leeren Kristall
Des Bergsees.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Die Nacht

Dich sing ich wilde Zerklüftung,
Im Nachtsturm
Aufgetürmtes Gebirge;
Ihr grauen Türme
Überfließend von höllischen Fratzen,
Feurigem Getier,
Rauhen Farnen, Fichten,
Kristallnen Blumen.
Unendliche Qual,
Daß du Gott erjagtest
Sanfter Geist,
Aufseufzend im Wassersturz,
In wogenden Föhren.

Golden lodern die Feuer
Der Völker rings.
Über schwärzliche Klippen
Stürzt todestrunken
Die erglühende Windsbraut,
Die blaue Woge
Des Gletschers
Und es dröhnt
Gewaltig die Glocke im Tal:
Flammen, Flüche
Und die dunklen
Spiele der Wollust,
Stürmt den Himmel
Ein versteinertes Haupt.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Die Schwermut

Gewaltig bist du dunkler Mund
Im Innern, aus Herbstgewölk
Geformte Gestalt,
Goldner Abendstille;
Ein grünlich dämmernder Bergstrom
In zerbrochner Föhren
Schattenbezirk;
Ein Dorf,
Das fromm in braunen Bildern abstirbt.

Da springen die schwarzen Pferde
Auf nebliger Weide.
Ihr Soldaten!
Vom Hügel, wo sterbend die Sonne rollt
Stürzt das lachende Blut -
Unter Eichen
Sprachlos! O grollende Schwermut
Des Heers; ein strahlender Helm
Sank klirrend von purpurner Stirne.

Herbstesnacht so kühle kommt,
Erglänzt mit Sternen
Über zerbrochenem Männergebein
Die stille Mönchin.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Die Heimkehr

Die Kühle dunkler Jahre,
Schmerz und Hoffnung
Bewahrt zyklopisch Gestein,
Menschenleeres Gebirge,
Des Herbstes goldner Odem,
Abendwolke -
Reinheit!

Anschaut aus blauen Augen
Kristallne Kindheit;
Unter dunklen Fichten
Liebe, Hoffnung,
Daß von feurigen Lidern
Tau ins starre Gras tropft -
Unaufhaltsam!

O! dort der goldene Steg
Zerbrechend im Schnee
Des Abgrunds!
Blaue Kühle
Odmet das nächtige Tal,
Glaube, Hoffnung!
Gegrüßt du einsamer Friedhof!

 

Fassung: 2.
Zur Vorfassung 'An' im Nachlass.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Klage

Jüngling aus kristallnem Munde
Sank dein goldner Blick ins Tal;
Waldes Woge rot und fahl
In der schwarzen Abendstunde.
Abend schlägt so tiefe Wunde!

Angst! des Todes Traumbeschwerde,
Abgestorben Grab und gar
Schaut aus Baum und Wild das Jahr;
Kahles Feld und Ackererde.
Ruft der Hirt die bange Herde.

Schwester, deine blauen Brauen
Winken leise in der Nacht.
Orgel seufzt und Hölle lacht
Und es faßt das Herz ein Grauen;
Möchte Stern und Engel schauen.

Mutter muß ums Kindlein zagen;
Rot ertönt im Schacht das Erz,
Wollust, Tränen, steinern Schmerz,
Der Titanen dunkle Sagen.
Schwermut! einsam Adler klagen.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Titan

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Nachtergebung

Mönchin! schließ mich in dein Dunkel,
Ihr Gebirge kühl und blau!
Niederblutet dunkler Tau;
Kreuz ragt steil im Sterngefunkel.

Purpurn brachen Mund und Lüge
In verfallner Kammer kühl;
Scheint noch Lachen, golden Spiel,
Einer Glocke letzte Züge.

Mondeswolke! Schwärzlich fallen
Wilde Früchte nachts vom Baum
Und zum Grabe wird der Raum
Und zum Traum dies Erdenwallen.

 

Fassung: 5.
Zu den Fassungen 1, 2, 3 und 4 im Nachlass.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Im Osten

Den wilden Orgeln des Wintersturms
Gleicht des Volkes finstrer Zorn,
Die purpurne Woge der Schlacht,
Entlaubter Sterne.

Mit zerbrochnen Brauen, silbernen Armen
Winkt sterbenden Soldaten die Nacht.
Im Schatten der herbstlichen Esche
Seufzen die Geister der Erschlagenen.

Dornige Wildnis umgürtet die Stadt.
Von blutenden Stufen jagt der Mond
Die erschrockenen Frauen.
Wilde Wölfe brachen durchs Tor.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Klage

Schlaf und Tod, die düstern Adler
Umrauschen nachtlang dieses Haupt:
Des Menschen goldnes Bildnis
Verschlänge die eisige Woge
Der Ewigkeit. An schaurigen Riffen
Zerschellt der purpurne Leib
Und es klagt die dunkle Stimme
Über dem Meer.
Schwester stürmischer Schwermut
Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt
Unter Sternen,
Dem schweigenden Antlitz der Nacht.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Grodek

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

 

Fassung: 2.
Erstfassung unbekannt.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Grodek

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Offenbarung und Untergang

Seltsam sind die nächtigen Pfade des Menschen. Da ich nachtwandelnd an steinernen Zimmern hinging und es brannte in jedem ein stilles Lämpchen, ein kupferner Leuchter, und da ich frierend aufs Lager hinsank, stand zu Häupten wieder der schwarze Schatten der Fremdlingin und schweigend verbarg ich das Antlitz in den langsamen Händen. Auch war am Fenster blau die Hyazinthe aufgeblüht und es trat auf die purpurne Lippe des Odmenden das alte Gebet, sanken von den Lidern kristallne Tränen geweint um die bittere Welt. In dieser Stunde war ich im Tod meines Vaters der weiße Sohn. In blauen Schauern kam vom Hügel der Nachtwind, die dunkle Klage der Mutter, hinsterbend wieder und ich sah die schwarze Hölle in meinem Herzen; Minute schimmernder Stille. Leise trat aus kalkiger Mauer ein unsägliches Antlitz - ein sterbender Jüngling - die Schönheit eines heimkehrenden Geschlechts. Mondesweiß umfing die Kühle des Steins die wachende Schläfe, verklangen die Schritte der Schatten auf verfallenen Stufen, ein rosiger Reigen im Gärtchen.

Schweigend saß ich in verlassener Schenke unter verrauchtem Holzgebälk und einsam beim Wein; ein strahlender Leichnam über ein Dunkles geneigt und es lag ein totes Lamm zu meinen Füßen. Aus verwesender Bläue trat die bleiche Gestalt der Schwester und also sprach ihr blutender Mund: Stich schwarzer Dorn. Ach noch tönen von wilden Gewittern die silbernen Arme mir. Fließe Blut von den mondenen Füßen, blühend auf nächtigen Pfaden, darüber schreiend die Ratte huscht. Aufflackert ihr Sterne in meinengewölbten Brauen; und es läutet leise das Herz in der Nacht. Einbrach ein roter Schatten mit flammendem Schwert in das Haus, floh mit schneeiger Stirne. O bitterer Tod.
   Und es sprach eine dunkle Stimme aus mir: Meinem Rappen brach ich im nächtigen Wald das Genick, da aus seinen purpurnen Augen der Wahnsinn sprang; die Schatten der Ulmen fielen auf mich, das blaue Lachen des Quells und die schwarze Kühle der Nacht, da ich ein wilder Jäger aufjagte ein schneeiges Wild; in steinerner Hölle mein Antlitz erstarb.
   Und schimmernd fiel ein Tropfen Blutes in des Einsamen Wein; und da ich davon trank, schmeckte er bitterer als Mohn; und eine schwärzliche Wolke umhüllte mein Haupt, die kristallenen Tränen verdammter Engel; und leise rann aus silberner Wunde der Schwester das Blut und fiel ein feuriger Regen auf mich.

Am Saum des Waldes will ich ein Schweigendes gehn, dem aus sprachlosen Händen die härene Sonne sank; ein Fremdling am Abendhügel, der weinend aufhebt die Lider über die steinerne Stadt; ein Wild, das stille steht im Frieden des alten Hollunders; o ruhlos lauscht das dämmernde Haupt, oder es folgen die zögernden Schritte der blauen Wolke am Hügel, ernsten Gestirnen auch. Zur Seite geleitet stille die grüne Saat, begleitet auf moosigen Waldespfaden scheu das Reh. Es haben die Hütten der Dörfler sich stumm verschlossen und es ängstigt in schwarzer Windesstille die blaue Klage des Wildbachs.
   Aber da ich den Felsenpfad hinabstieg, ergriff mich der Wahnsinn und ich schrie laut in der Nacht; und da ich mit silbernen Fingern mich über die schweigenden Wasser bog, sah ich daß mich mein Antlitz verlassen. Und die weiße Stimme sprach zu mir: Töte dich! Seufzend erhob sich eines Knaben Schatten in mir und sah mich strahlend aus kristallnen Augen an, daß ich weinend unter den Bäumen hinsank, dem gewaltigen Sternengewölbe.

Friedlose Wanderschaft durch wildes Gestein ferne den Abendweilern, heimkehrenden Herden; ferne weidet die sinkende Sonne auf kristallner Wiese und es erschüttert ihr wilder Gesang, der einsame Schrei des Vogels, ersterbend in blauer Ruh. Aber leise kommst du in der Nacht, da ich wachend am Hügel lag, oder rasend im Frühlingsgewitter; und schwärzer immer umwölkt die Schwermut das abgeschiedene Haupt, erschrecken schaurige Blitze die nächtige Seele, zerreißen deine Hände die atemlose Brust mir.

Da ich in den dämmernden Garten ging, und es war die schwarze Gestalt des Bösen von mir gewichen, umfing mich die hyazinthene Stille der Nacht; und ich fuhr auf gebogenem Kahn über den ruhenden Weiher und süßer Frieden rührte die versteinerte Stirne mir. Sprachlos lag ich unter den alten Weiden und es war der blaue Himmel hoch über mir und voll von Sternen; und da ich anschauend hinstarb, starben Angst und der Schmerzen tiefster in mir; und es hob sich der blaue Schatten des Knaben strahlend im Dunkel, sanfter Gesang; hob sich auf mondenen Flügeln über die grünenden Wipfel, kristallene Klippen das weiße Antlitz der Schwester.

Mit silbernen Sohlen stieg ich die dornigen Stufen hinab und ich trat ins kalkgetünchte Gemach. Stille brannte ein Leuchter darin und ich verbarg in purpurnen Linnen schweigend das Haupt; und es warf die Erde einen kindlichen Leichnam aus, ein mondenes Gebilde, das langsam aus meinem Schatten trat, mit zerbrochenen Armen steinerne Stürze hinabsank, flockiger Schnee.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Sonstige Veröffentlichungen zu Lebzeiten

(Lyrik - Prosa und Rezensionen)

 

Das Morgenlied

Nun schreite herab, titanischer Bursche,
Und wecke die vielgeliebte Schlummernde dir!
Schreite herab, und umgürte
Mit zartlichten Blüten das träumende Haupt.
Entzünde den bangenden Himmel mit lodernder Fackel,
Daß die erblassenden Sterne tanzend ertönen
Und die fliegenden Schleier der Nacht
Aufflammend vergehen,
Daß die zyklopischen Wolken zerstieben,
In denen der Winter, der Erde entfliehend,
Noch heulend droht mit eisigen Schauern,
Und die himmlischen Fernen sich auftun in leuchtender Reinheit.
Und steigst dann, Herrlicher du, mit fliegenden Locken
Zur Erde herab, empfängt sie mit seligem Schweigen
Den brünstigen Freier, und in tiefen Schauern erbebend
Von deiner so wilden, sturmrasenden Umarmung,
Öffnet sie dir ihren heiligen Schoß.
Und es erfaßt die Trunkene süßeste Ahnung,
Wenn Blütenglühender du das keimende Leben
Ihr weckest, des hohe Vergangenheit
Höherer Zukunft sich zudrängt,
Das dir gleich ist, wie du dir selber gleichst,
Und deinem Willen ergeben, stets Bewegter,
Daß an ihr ein ewig Rätselvolles
In hoher Schönheit sich wieder künftig erneuert.

 

Fassung: -

Erstdruck:
26.2.1908, Salzburger Volkszeitung
Im Lexikon:
-

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Traumwandler

Wo bist du, die mir zur Seite ging,
Wo bist du, Himmelsangesicht?
Ein rauher Wind höhnt mir ins Ohr: du Narr!
Ein Traum! Ein Traum! Du Tor!
Und doch, und doch! Wie war es einst,
Bevor ich in Nacht und Verlassenheit schritt?
Weißt du es noch, du Narr, du Tor!
Meiner Seele Echo, der rauhe Wind:
O Narr! O Tor!
Stand sie mit bittenden Händen nicht,
Ein trauriges Lächeln um den Mund,
Und rief in Nacht und Verlassenheit!
Was rief sie nur! Weißt du es nicht?
Wie Liebe klang's. Kein Echo trug
Zu ihr zurück, zu ihr dies Wort.
War's Liebe? Weh, daß ich's vergaß!
Nur Nacht um mich und Verlassenheit,
Und meiner Seele Echo - der Wind!
Der höhnt und höhnt: O Narr! O Tor!

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Die drei Teiche von Hellbrunn

Der erste

Um die Blumen taumelt das Fliegengeschmeiß
Um die bleichen Blumen auf dumpfer Flut,
Geh fort! Geh fort! Es brennt die Luft!
In der Tiefe glüht der Verwesung Glut!
Die Weide weint, das Schweigen starrt,
Auf den Wassern braut ein schwüler Dunst.
Geh fort! Geh fort! Dies ist der Ort
Für schwarzer Kröten ekle Brunst.

Der zweite

Bilder von Wolken, Blumen und Menschen -
Singe, singe, freudige Welt!
Lächelnde Unschuld spiegelt dich wider -
Himmlisch wird alles, was ihr gefällt:
Dunkles wandelt sie freundlich in Helle,
Fernes wird nah. O Freudiger du!
Sonne, Wolken, Blumen und Menschen
Atmen selige Gottesruh.

Der dritte

Die Wasser schimmern grünlich-blau
Und ruhig atmen die Zypressen,
Es tönt der Abend glockentief -
Da wächst die Tiefe unermessen.
Der Mond steigt auf, es blaut die Nacht,
Erblüht im Widerschein der Fluten -
Ein rätselvolles Sphinxgesicht,
Daran mein Herz sich will verbluten.

 

Fassung: 2.
Erstfassung 'Die drei Teiche in Hellbrunn' im Nachlass; Endfassung 'Die drei Teiche in Hellbrunn'.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Hellbrunn - Sphinx

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Die drei Teiche in Hellbrunn

Hinwandelnd an den schwarzen Mauern
Des Abends, silbern tönt die Leier
Des Orpheus fort im dunklen Weiher
Der Frühling aber tropft in Schauern
Aus dem Gezweig in wilden Schauern
Des Nachtwinds silbern tönt die Leier
Des Orpheus fort im dunklen Weiher
Hinsterbend an ergrünten Mauern.

Ferne leuchten Schloß und Hügel.
Stimmen von Frauen, die längst verstarben
Weben zärtlich und dunkelfarben
Über den weißen nymphischen Spiegel.
Klagen ihr vergänglich Geschicke
Und der Tag zerfließt im Grünen
Flüstern im Rohr und schweben zurücke -
Eine Drossel scherzt mit ihnen.

Die Wasser schimmern grünlichblau
Und ruhig atmen die Zypressen
Und ihre Schwermut unermessen
Fließt über in das Abendblau.
Tritonen tauchen aus der Flut,
Verfall durchrieselt das Gemäuer
Der Mond hüllt sich in grüne Schleier
Und wandelt langsam auf der Flut.

 

Fassung: 3.
Erstfassung im Nachlass; Zweitfassung 'Die drei Teiche von Hellbrunn'

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Hellbrunn - Orpheus - Nymphe - Triton

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St.-Peters-Friedhof

Ringsum ist Felseneinsamkeit.
Des Todes bleiche Blumen schauern
Auf Gräbern, die im Dunkel trauern -
Doch diese Trauer hat kein Leid.

Der Himmel lächelt still herab
In diesen traumverschlossenen Garten,
Wo stille Pilger seiner warten.
Es wacht das Kreuz auf jedem Grab.

Die Kirche ragt wie ein Gebet
Vor einem Bilde ewiger Gnaden,
Manch Licht brennt unter den Arkaden,
Das stumm für arme Seelen fleht -

Indes die Bäume blüh’n zur Nacht,
Daß sich des Todes Antlitz hülle
In ihrer Schönheit schimmernde Fülle,
Die Tote tiefer träumen macht.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
St.-Peters-Friedhof  

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Ein Frühlingsabend

Ein Strauch voll Larven; Abendföhn im März;
Ein toller Hund läuft durch ein ödes Feld
Durchs braune Dorf des Priesters Glocke schellt;
Ein kahler Baum krümmt sich in schwarzem Schmerz.

Im Schatten alter Dächer blutet Mais;
O Süße, die der Spatzen Hunger stillt.
Durch das vergilbte Rohr bricht scheu ein Wild.
O Einsamstehn vor Wassern still und weiß.

Unsäglich ragt des Nußbaums Traumgestalt.
Den Freund erfreut der Knaben bäurisch Spiel.
Verfallene Hütten, abgelebt’ Gefühl;
Die Wolken wandern tief und schwarz geballt.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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In einem alten Garten

Resedaduft entschwebt im braunen Grün,
Geflimmer schauert auf den schönen Weiher,
Die Weiden stehn gehüllt in weiße Schleier
Darinnen Falter irre Kreise ziehn.

Verlassen sonnt sich die Terrasse dort,
Goldfische glitzern tief im Wasserspiegel,
Bisweilen schwimmen Wolken übern Hügel,
Und langsam gehn die Fremden wieder fort.

Die Lauben scheinen hell, da junge Frau'n
Am frühen Morgen hier vorbeigegangen,
Ihr Lachen blieb an kleinen Blättern hangen,
In goldenen Dünsten tanzt ein trunkener Faun.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Faun

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[Abendlicher Reigen]

Asternfelder, braun und blau
Kinder spielen dort an Grüften
In den hell beschwingten Lüften
Hängen Möven silbergrau.

Seltsam Leben lebt im Wein.
Lauter spielet auf ihr Geigen
Welche Wollust! Rasend Reigen
Fröstelnd kommt die Nacht herein.

Lachst so laut du braune Gret
Wirr das Meer träumt im Gemüte
Während eine just verblühte
Rose vor mir niederweht.

 

Fassung: 1.
Zur Endfassung.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Gret

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Abendlicher Reigen

Asternfelder braun und blau,
Kinder spielen dort an Grüften,
In den abendlichen Lüften,
Hingehaucht in klaren Lüften
Hängen Möven silbergrau.
Hörnerschall hallt in der Au.

In der alten Schenke schrein
Toller auf verstimmte Geigen,
An den Fenstern rauscht ein Reigen,
Rauscht ein bunter Ringelreigen,
Rasend und berauscht von Wein.
Fröstelnd kommt die Nacht herein.

Lachen flattert auf, verweht,
Spöttisch klimpert eine Laute,
Leise eine stille Raute,
Eine schwermutvolle Raute
An der Schwelle niedergeht.
Klingklang! Eine Sichel mäht.

Traumhaft webt der Kerzen Schein,
Malt dies junge Fleisch verfallen,
Klingklang! Hörs im Nebel hallen,
Nach dem Takt der Geigen hallen,
Und vorbei tanzt nackt Gebein.
Lange schaut der Mond herein.

 

Fassung: 2.
Zur Erstfassung.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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[Nachtseele]

Stille wieder empfängt der modernde Wald
Den lallenden Quell,
Klage, die kristallen im Dunkel forttönt.

Schweigsam stieg von schwarzen Wäldern ein blaues Wild
Die Seele nieder,
Da es Nacht war; über moosige Stufen ein schneeiger Quell.

Blut und Waffengetümmel vergessener Zeiten
Rauscht das Wasser im Föhrengrund.
Der Mond scheint immer in verfallene Zimmer,

Trunken von Frösten silberne Larve
Über den Schlaf des Jägers geneigt,
Haupt, das seine Sagen verlassen.

O dann öffnet jener die langsamen Hände,
Daß er das Licht empfange,
Seufzend in gewaltiger Finsternis.

 

Fassung: 1.
Zur Zweitfassung und Endfassung.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Nachtseele

Schweigsam stieg von schwarzen Wäldern ein blaues Wild
Die Seele nieder,
Da es Nacht war, über moosige Stufen ein schneeiger Quell.

Blut und Waffengetümmel vergangener Zeiten
Rauscht im Föhrengrund,
Der Mond scheint immer in verfallene Zimmer;

Trunken von dunklen Giften, silberne Larve
Über den schlummernde Hirten geneigt,
Haupt, das schweigend seine Sagen verlassen.

O, dann öffnet jenes langsam die kalten Hände
Unter steinernen Bogen
Leise steigt ein goldener Sommer ans erblindete Fenster

Und es läuten im Grün die Schritte der Tänzerin
Die Nacht lang,
Öfter ruft in purpurner Schwermut das Käuzchen den Trunkenen.

 

Fassung: 2.
Zur Erstfassung und Endfassung.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Nachtseele

Schweigsam stieg vom schwarzen Wald ein blaues Wild
Die Seele nieder,
Da es Nacht war, über moosige Stufen ein schneeiger Quell.

Blut und Waffengetümmel vergangner Zeiten
Rauscht im Föhrengrund.
Der Mond scheint leise in verfallene Zimmer,

Trunken von dunklen Giften, silberne Larve
Über den Schlummer der Hirten geneigt;
Haupt, das schweigend seine Sagen verlassen.

O, dann öffnet jener die langsamen Hände
Verwesend in purpurnem Schlaf
Und silbern erblühen die Blumen des Winters

Am Waldsaum, erstrahlen die finstern Wege
In die steinerne Stadt;
Öfter ruft aus schwarzer Schwermut das Käuzchen den Trunkenen.

 

Fassung: 3.
Zur Erstfassung und Zweitfassung.

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
-

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Prosa und Rezensionen

 

Traumland
Eine Episode

Manchmal muß ich wieder jener stillen Tage gedenken, die mir sind wie ein wundersames, glücklich verbrachtes Leben, das ich fraglos genießen konnte, gleich einem Geschenk aus gütigen, unbekannten Händen. Und jene kleine Stadt im Talesgrund ersteht da wieder in meiner Erinnerung mit ihrer breiten Hauptstraße, durch die sich eine lange Allee prachtvoller Lindenbäume hinzieht, mit ihren winkeligen Seitengassen, die erfüllt sind von heimlich schaffendem Leben kleiner Kaufleute und Handwerker - und mit dem alten Stadtbrunnen mitten auf dem Platze, der im Sonnenschein so verträumt plätschert, und wo am Abend zum Rauschen des Wassers Liebesgeflüster klingt. Die Stadt aber scheint von vergangenem Leben zu träumen.
    Und sanft geschwungene Hügel, über die sich feierliche, schweigsame Tannenwälder ausdehnen, schließen das Tal von der Außenwelt ab. Die Kuppen schmiegen sich weich an den fernen, lichten Himmel, und in dieser Berührung von Himmel und Erde scheint einem der Weltraum ein Teil der Heimat zu sein. Menschengestalten kommen mir auf einmal in den Sinn, und vor mir lebt wieder das Leben ihrer Vergangenheit auf, mit all’ seinen kleinen Leiden und Freuden, die diese Menschen ohne Scheu einander anvertrauen durften.
    Acht Wochen habe ich in dieser Entlegenheit verlebt; diese acht Wochen sind mir wie ein losgelöster, eigener Teil meines Lebens - ein Leben für sich - voll eines unsäglichen, jungen Glückes, voll einer starken Sehnsucht nach fernen, schönen Dingen. Hier empfing meine Knabenseele zum erstenmale den Eindruck eines großen Erlebens.
    Ich sehe mich wieder als Schulbube in dem kleinen Haus mit einem kleinen Garten davor, das, etwas abgelegen von der Stadt, von Bäumen und Gesträuch beinahe ganz versteckt liegt. Dort bewohnte ich eine kleine Dachstube, die mit wunderlichen alten, verblaßten Bildern ausgeschmückt war, und manchen Abend habe ich hier verträumt in der Stille, und die Stille hat meine himmelhohen, närrisch-glücklichen Knabenträume liebevoll in sich aufgenommen und bewahrt und hat sie mir später noch oft genug wiedergebracht - in einsamen Dämmerstunden. Oft auch ging ich am Abend zu meinem alten Onkel hinunter, der beinahe den ganzen Tag bei seiner kranken Tochter Maria verbrachte. Dann saßen wir drei stundenlang schweigend beisammen. Der laue Abendwind wehte zum Fenster herein und trug allerlei verworrenes Geräusch an unser Ohr, das einem unbestimmte Traumbilder vorgaukelte. Und die Luft war voll von dem starken, berauschenden Duft der Rosen, die am Gartenzaune blühten. Langsam schlich die Nacht ins Zimmer und dann stand ich auf, sagte »Gute Nacht« und begab mich in meine Stube hinauf, um dort noch eine Stunde am Fenster in die Nacht hinaus zu träumen.
    Anfangs fühlte ich in der Nähe der kleinen Kranken etwas wie eine angstvolle Beklemmung, die sich später in eine heilige, ehrfurchtsvolle Scheu vor diesem stummen, seltsam ergreifenden Leiden wandelte. Wenn ich sie sah, stieg in mir ein dunkles Gefühl auf, daß sie sterben werde müssen. Und dann fürchtete ich sie anzusehen.
    Wenn ich tagsüber in den Wäldern herumstreifte, mich in der Einsamkeit und Stille so froh fühlte, wenn ich mich müde dann ins Moos streckte, und stundenlang in den lichten, flimmernden Himmel blickte, in den man so weit hineinsehen konnte, wenn ein seltsam tiefes Glücksgefühl mich dann berauschte, da kam mir plötzlich der Gedanke an die kranke Maria - und ich stand auf und irrte, von unerklärlichen Gedanken überwältigt, ziellos umher und fühlte in Kopf und Herz einen dumpfen Druck, daß ich weinen hätte mögen.
    Und wenn ich am Abend manchmal durch die staubige Hauptstraße ging, die erfüllt war vom Dufte der blühenden Linden, und im Schatten der Bäume flüsternde Paare stehen sah; wenn ich sah, wie beim leise plätschernden Brunnen im Mondenschein zwei Menschen enge aneinander geschmiegt langsam dahinwandelten, als wären sie ein Wesen, und mich da ein ahnungsvoller heißer Schauer überlief, da kam die kranke Maria mir in den Sinn; dann überfiel mich eine leise Sehnsucht nach irgend etwas Unerklärlichem, und plötzlich sah ich mich mit ihr Arm in Arm die Straße hinab im Schatten der duftenden Linden lustwandeln. Und in Marias großen, dunklen Augen leuchtete ein seltsamer Schimmer, und der Mond ließ ihr schmales Gesichtchen noch blasser und durchsichtiger erscheinen. Dann flüchtete ich mich in meine Dachstube hinauf, lehnte mich ans Fenster, sah in den tiefdunklen Himmel hinauf, in dem die Sterne zu erlöschen schienen und hing stundenlang wirren, sinnverwirrenden Träumen nach, bis der Schlaf mich übermannte.
    Und doch - und doch habe ich mit der kranken Maria keine zehn Worte gewechselt. Sie sprach nie. Nur stundenlang an ihrer Seite bin ich gesessen und habe in ihr krankes, leidendes Gesicht geblickt und immer wieder gefühlt, daß sie sterben müsse.
    Im Garten habe ich im Gras gelegen und habe den Duft von tausend Blumen eingeatmet; mein Auge berauschte sich an den leuchtenden Farben der Blüten, über die das Sonnenlicht hinflutete, und auf die Stille in den Lüften habe ich gehorcht, die nur bisweilen unterbrochen wurde durch den Lockruf eines Vogels. Ich vernahm das Gären der fruchtbaren, schwülen Erde, dieses geheimnisvolle Geräusch des ewig schaffenden Lebens. Damals fühlte ich dunkel die Größe und Schönheit des Lebens. Damals auch war mir, als gehörte das Leben mir. Da aber fiel mein Blick auf das Erkerfenster des Hauses. Dort sah ich die kranke Maria sitzen - still und unbeweglich, mit geschlossenen Augen. Und all’ mein Sinnen wurde wieder angezogen von dem Leiden dieses einen Wesens, verblieb dort - ward zu einer schmerzlichen, nur scheu eingestandenen Sehnsucht, die mich rätselhaft und verwirrend dünkte. Und scheu, still verließ ich den Garten, als hätte ich kein Recht, in diesem Tempel zu verweilen.
    Sooft ich da am Zaun vorüberkam, brach ich wie in Gedanken eine von den großen, leuchtendroten, duftschweren Rosen. Leise wollte ich dann am Fenster vorüberhuschen, als ich den zitternden, zarten Schatten von Marias Gestalt sich vom Kiesweg abheben sah. Und mein Schatten berührte den ihrigen wie in einer Umarmung. Da nun trat ich, wie von einem flüchtigen Gedanken erfaßt, zum Fenster und legte die Rose, die ich eben erst gebrochen, in Marias Schoß. Dann schlich ich lautlos davon, als fürchtete ich, ertappt zu werden.
    Wie oft hat dieser kleine, mich so bedeutsam dünkende Vorgang sich wiederholt! Ich weiß es nicht. Mir ist es, als hätte ich der kranken Maria tausend Rosen in den Schoß gelegt, als hätten unsere Schatten sich unzählige Male umarmt. Nie hat Maria dieser Episode Erwähnung getan; aber gefühlt habe ich aus dem Schimmer ihrer großen leuchtenden Augen, daß sie darüber glücklich war.
    Vielleicht waren diese Stunden, da wir zwei beisammen saßen und schweigend ein großes, ruhiges, tiefes Glück genossen, so schön, daß ich mir keine schöneren zu wünschen brauchte. Mein alter Onkel ließ uns still gewähren. Eines Tages aber, da ich mit ihm im Garten saß, inmitten all’ der leuchtenden Blumen, über die verträumt große gelbe Schmetterlinge schwebten, sagte er zu mir mit einer leisen, gedankenvollen Stimme: »Deine Seele geht nach dem Leiden, mein Junge.« Und dabei legte er seine Hand auf mein Haupt und schien noch etwas sagen zu wollen. Aber er schwieg. Vielleicht wußte er auch nicht, was er dadurch in mir geweckt hatte und was seither mächtig in mir auflebte.
    Eines Tages, da ich wiederum zum Fenster trat, an dem Maria wie gewöhnlich saß, sah ich, daß ihr Gesicht im Tode erbleicht und erstarrt war. Sonnenstrahlen huschten über ihre lichte, zarte Gestalt hin; ihr gelöstes Goldhaar flatterte im Wind, mir war, als hätte sie keine Krankheit dahingerafft, als wäre sie gestorben ohne sichtbare Ursache - ein Rätsel. Die letzte Rose habe ich ihr in die Hand gelegt, sie hat sie ins Grab genommen.
    Bald nach dem Tode Marias reiste ich ab in die Großstadt. Aber die Erinnerung an jene stillen Tage voll Sonnenschein sind in mir lebendig geblieben, lebendiger vielleicht als die geräuschvolle Gegenwart. Die kleine Stadt im Talesgrund werde ich nie mehr wiedersehen - ja, ich trage Scheu, sie wieder aufzusuchen. Ich glaube, ich könnte es nicht, wenn mich auch manchmal eine starke Sehnsucht nach jenen ewig jungen Dingen der Vergangenheit überfällt. Denn ich weiß, ich würde nur vergeblich nach dem suchen, was spurlos dahingegangen ist; ich würde dort das nicht mehr finden, was nur in meiner Erinnerung noch lebendig ist - wie das Heute - und das wäre mir wohl nur eine unnütze Qual.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Maria

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Aus goldenem Kelch
Barrabas

Eine Phantasie

Es geschah aber zur selbigen Stunde, da sie des Menschen Sohn hinausführten gen Golgatha, das da ist die Stätte, wo sie Räuber und Mörder hinrichten.
    Es geschah zur selbigen hohen und glühenden Stunde, da er sein Werk vollendete.
    Es geschah, daß zur selbigen Stunde eine große Menge Volks lärmend Jerusalems Straßen durchzog - und inmitten des Volkes schritt Barrabas, der Mörder, und trug sein Haupt trotzig hoch.
    Und um ihn waren aufgeputzte Dirnen mit rotgemalten Lippen und geschminkten Gesichtern und haschten nach ihm. Und um ihn waren Männer, deren Augen trunken blickten von Wein und Lastern. In aller Reden aber lauerte die Sünde ihres Fleisches, und die Unzucht ihrer Geberden war der Ausdruck ihrer Gedanken.
    Viele, die dem trunkenen Zuge begegneten, schlossen sich ihm an und riefen: »Es lebe Barrabas!« Und alle schrieen: »Barrabas lebe!« Jemand hatte auch »Hosiannah!« gerufen. Den aber schlugen sie - denn erst vor wenigen Tagen hatten sie Einem »Hosiannah!« zugerufen, der da in die Stadt gezogen kam als ein König, und hatten frische Palmenzweige auf seinen Weg gestreut. Heute aber streuten sie rote Rosen und jauchzten: »Barrabas!«
    Und da sie an einem Palaste vorbeikamen, hörten sie drinnen Saitenspiel und Gelächter und den Lärm eines großen Gelages. Und aus dem Haus trat ein junger Mensch in reichem Festgewand. Und sein Haar glänzte von wohlriechenden Ölen und sein Körper duftete von den kostbarsten Essenzen Arabiens. Sein Auge leuchtete von den Freuden des Gelages und das Lächeln seines Mundes war geil von den Küssen seiner Geliebten.
    Als der Jüngling Barrabam erkannte, trat er vor und sprach also:
    »Tritt ein in mein Haus, o Barrabas, und auf meinen weichsten Kissen sollst du ruhen; tritt ein, o Barrabas, und meine Dienerinnen sollen deinen Leib mit den kostbarsten Narden salben. Dir zu Füßen soll ein Mädchen auf der Laute seine süßesten Weisen spielen und aus meinem kostbarsten Becher will ich dir meinen glühendsten Wein darreichen. Und in den Wein will ich die herrlichste meiner Perlen werfen. O Barrabas, sei mein Gast für heute - und meinem Gast gehört für diesen Tag meine Geliebte, die schöner ist als die Morgenröte im Frühling. Tritt ein, Barrabas, und kränze dein Haupt mit Rosen, freu' dich dieses Tages, da jener stirbt, dem sie Dornen aufs Haupt gesetzt.«
    Und da der Jüngling so gesprochen, jauchzte ihm das Volk zu und Barrabas stieg die Marmorstufen empor, gleich einem Sieger. Und der Jüngling nahm die Rosen, die sein Haupt bekränzten, und legte sie um die Schlafen des Mörders Barrabas.
    Dann trat er mit ihm in das Haus, derweil das Volk auf den Straßen jauchzte.
    Auf weichen Kissen ruhte Barrabas; Dienerinnen salbten seinen Leib mit den köstlichsten Narden und zu seinen Füßen tönte das liebliche Saitenspiel eines Mädchens und auf seinem Schoß saß des Jünglings Geliebte, die schöner war denn die Morgenröte im Frühling. Und Lachen tönte - und an unerhörten Freuden berauschten sich die Gäste, die sie alle waren des Einzigen Feinde und Verächter - Pharisäer und Knechte der Priester.
    Zu Einer Stunde gebot der Jüngling Schweigen, und aller Lärm verstummte.
    Da nun füllte der Jüngling seinen goldenen Becher mit dem köstlichsten Wein, und in dem Gefäß ward der Wein wie glühendes Blut. Eine Perle warf er hinein und reichte den Becher Barrabas dar. Der Jüngling aber griff nach einem Becher von Kristall und trank Barrabas zu:
    »Der Nazarener ist tot! Es lebe Barrabas!«
    Und alle im Saale jauchzten:
    »Der Nazarener ist tot! Es lebe Barrabas!«
    Und das Volk in den Straßen schrie:
    »Der Nazarener ist tot! Es lebe Barrabas!«
    Plötzlich aber erlosch die Sonne, die Erde erbebte in ihren Grundfesten und ein ungeheures Grauen ging durch die Welt. Und die Kreatur erzitterte.
    Zur selbigen Stunde ward das Werk der Erlösung vollbracht!

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Barrabas - Pharisäer - Nazarener - Arabien - Golgatha - Jerusalem

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Aus goldenem Kelch
Maria Magdalena
Ein Dialog

Vor den Toren der Stadt Jerusalem. Es wird Abend.

AGATHON: Es ist Zeit, in die Stadt zurückzukehren. Die Sonne ist untergegangen und über der Stadt dämmert es schon. Es ist sehr still geworden. - Doch was antwortest du nicht, Marcellus; was blickst du so abwesend in die Ferne?
MARCELLUS: Ich habe daran gedacht, daß dort in der Ferne das Meer die Ufer dieses Landes bespült; daran habe ich gedacht, daß jenseits des Meeres das ewige, göttergleiche Rom sich zu den Gestirnen erhebt, wo kein Tag eines Festes entbehrt. Und ich bin hier in fremder Erde. An alles das habe ich gedacht. Doch ich vergaß. Es ist wohl Zeit, daß du in die Stadt zurückkehrst. Es dämmert. Und zur Zeit der Dämmerung harrt ein Mädchen vor den Toren der Stadt Agathons. Laß sie nicht warten, Agathon, laß sie nicht warten, deine Geliebte. Ich sage dir, die Frauen dieses Landes sind sehr sonderbar; ich weiß, sie sind voller Rätsel. Laß sie nicht warten, deine Geliebte; denn man weiß nie, was geschehen kann. In einem Augenblick kann Furchtbares geschehen. Man sollte den Augenblick nie versäumen.
AGATHON: Warum sprichst du so zu mir?
MARCELLUS: Ich meine, wenn sie schön ist, deine Geliebte, sollst du sie nicht warten lassen. Ich sage dir, ein schönes Weib ist etwas ewig Unerklärliches. Die Schönheit des Weibes ist ein Rätsel. Man durchschaut sie nicht. Man weiß nie, was ein schönes Weib sein kann, was sie zu tun gezwungen ist. Das ist es, Agathon! Ach du - ich kannte eine. Ich kannte eine, ich sah Dinge geschehen, die ich nie ergründen werde. Kein Mensch würde sie ergründen können. Wir schauen nie den Grund der Geschehnisse.
AGATHON: Was sahst du geschehen? Ich bitte dich, erzähle mir mehr davon!
MARCELLUS: So gehen wir. Vielleicht ist eine Stunde gekommen, da ich es sagen werde können, ohne vor meinen eigenen Worten und Gedanken erschaudern zu müssen. (Sie gehen langsam den Weg nach Jerusalem zurück. Es ist Stille um sie.)
MARCELLUS: Es ging vor sich in einer glühenden Sommernacht, da in der Luft das Fieber lauert und Mond die Sinne verwirrt. Da sah ich sie. Es war in einer kleinen Schenke. Sie tanzte dort, tanzte mit nackten Füßen auf einem kostbaren Teppich. Niemals sah ich ein Weib schöner tanzen, nie berauschter; der Rhythmus ihres Körpers ließ mich seltsam dunkle Traumbilder schauen, daß heiße Fieberschauer meinen Körper durchbebten. Mir war, als spiele dieses Weib im Tanz mit unsichtbaren, köstlichen, heimlichen Dingen, als umarmte sie göttergleiche Wesen, die niemand sah, als küßte sie rote Lippen, die sich verlangend den ihren neigten; ihre Bewegungen waren die höchster Lust; es schien, als würde sie von Liebkosungen überschüttet. Sie schien Dinge zu sehen, die wir nicht sahen und spielte mit ihnen im Tanze, genoß sie in unerhörten Verzückungen ihres Körpers. Vielleicht hob sie ihren Mund zu köstlichen, süßen Früchten und schlürfte feurigen Wein, wenn sie ihren Kopf zurückwarf und ihr Blick verlangend nach oben gerichtet war. Nein! Ich habe das nicht begriffen, und doch war alles seltsam lebendig - es war da. Und sank dann hüllenlos, nur von ihren Haaren überflutet, zu unseren Füßen nieder. Es war, als hätte sich die Nacht in ihrem Haar zu einem schwarzen Knäuel zusammengeballt und entrückte sie uns. Sie aber gab sich hin, gab ihren herrlichen Leib hin, gab ihn einem jeden, der ihn haben wollte, hin. Ich sah sie Bettler und Gemeine, sah sie Fürsten und Könige lieben. Sie war die herrlichste Hetäre. Ihr Leib war ein köstliches Gefäß der Freude, wie es die Welt nicht schöner sah. Ihr Leben gehörte der Freude allein. Ich sah sie bei Gelagen tanzen und ihr Leib wurde von Rosen überschüttet. Sie aber stand inmitten leuchtender Rosen wie eine eben aufgeblühte, einzig schöne Blume. Und ich sah sie die Statue des Dionysos mit Blumen kränzen, sah sie den kalten Marmor umarmen, wie sie ihre Geliebten umarmte, sie erstickte mit ihren brennenden, fiebernden Küssen. -- Und da kam einer, der ging vorbei, wortlos, ohne Geberde, und war gekleidet in ein härenes Gewand, und Staub war auf seinen Füßen. Der ging vorbei und sah sie an - und war vorüber. Sie aber blickte nach Ihm, erstarrte in ihrer Bewegung - und ging, ging, und folgte jenem seltsamen Propheten, der sie vielleicht mit den Augen gerufen hatte, folgte Seinem Ruf und sank zu Seinen Füßen nieder. Erniedrigte sich vor Ihm - und sah zu Ihm auf wie zu einem Gott; diente Ihm, wie Ihm die Männer dienten, die um Ihn waren.
AGATHON: Du bist noch nicht zu Ende. Ich fühle, du willst noch etwas sagen.
MARCELLUS: Mehr weiß ich nicht. Nein! Aber eines Tages erfuhr ich, daß sie jenen sonderlichen Propheten ans Kreuz schlagen wollten. Ich erfuhr es von unserem Statthalter Pilatus. Und da wollte ich hinausgehen nach Golgatha, wollte Jenen sehen, wollte Ihn sterben sehen. Vielleicht wäre mir ein rätselhaftes Geschehnis offenbar geworden. In Seine Augen wollte ich blicken; Seine Augen würden vielleicht zu mir gesprochen haben. Ich glaube, sie hätten gesprochen.
AGATHON: Und du gingst nicht!
MARCELLUS: Ich war auf dem Wege dahin. Aber ich kehrte um. Denn ich fühlte, ich würde jene draußen treffen, auf den Knien vor dem Kreuz, zu Ihm beten, auf das Fliehen Seines Lebens lauschend. In Verzückung. Und da kehrte ich wieder um. Und in mir ist es dunkel geblieben.
AGATHON: Doch jener Seltsame? - Nein, wir wollen nicht davon sprechen!
MARCELLUS: Laß uns darüber schweigen, Agathon! Wir können nichts anderes tun. - Sieh nur, Agathon, wie es in den Wolken seltsam dunkel glüht. Man könnte meinen, daß hinter den Wolken ein Ozean von Flammen loderte. Ein göttliches Feuer! Und der Himmel ist wie eine blaue Glocke. Es ist, als ob man sie tönen hörte, in tiefen, feierlichen Tönen. Man könnte sogar vermuten, daß dort oben in den unerreichbaren Höhen etwas vorgeht, wovon man nie etwas wissen wird. Aber ahnen kann man es manchmal, wenn auf die Erde die große Stille herabgestiegen ist. Und doch! Alles das ist sehr verwirrend. Die Götter lieben es, uns Menschen unlösbare Rätsel aufzugeben. Die Erde aber rettet uns nicht vor der Arglist der Götter; denn auch sie ist voll des Sinnbetörenden. Mich verwirren die Dinge und die Menschen. Gewiß! Die Dinge sind sehr schweigsam! Und die Menschenseele gibt ihre Rätsel nicht preis. Wenn man fragt, so schweigt sie.
AGATHON: Wir wollen leben und nicht fragen. Das Leben ist voll des Schönen.
MARCELLUS: Wir werden vieles nie wissen. Ja! Und deshalb wäre es wünschenswert, das zu vergessen, was wir wissen. Genug davon! Wir sind bald am Ziel. Sieh nur, wie verlassen die Straßen sind. Man sieht keinen Menschen mehr. (Ein Wind erhebt sich.) Es ist dies eine Stimme, die uns sagt, daß wir zu den Gestirnen aufblicken sollen. Und schweigen.
AGATHON: Marcellus, sieh, wie hoch das Getreide auf den Äckern steht. Jeder Halm beugt sich zur Erde - früchteschwer. Es werden herrliche Erntetage sein.
MARCELLUS: Ja! Festtage! Festtage, mein Agathon!
AGATHON: Ich gehe mit Rahel durch die Felder, durch die früchteschweren, gesegneten Äcker! O du herrliches Leben!
MARCELLUS: Du hast recht! Freue dich deiner Jugend. Jugend allein ist Schönheit! Mir geziemt es, im Dunkel zu wandern. Doch hier trennen sich unsere Wege. Deiner harrt die Geliebte, meiner - das Schweigen der Nacht! Leb’ wohl, Agathon! Es wird eine herrlich schöne Nacht sein. Man kann lange im Freien bleiben.
AGATHON: Und kann zu den Gestirnen emporblicken - zur großen Gelassenheit. Ich will fröhlich meiner Wege gehen und die Schönheit preisen. So ehrt man sich und die Götter.
MARCELLUS: Tu, wie du sagst, und du tust recht! Leb’ wohl, Agathon!
AGATHON (nachdenklich): Nur eines will ich dich noch fragen. Du sollst nichts dabei denken, daß ich dich darnach frage. Wie hieß doch jener seltsame Prophet? Sag’!
MARCELLUS: Was nützt es dir, das zu wissen! Ich vergaß seinen Namen. Doch nein! Ich erinnere mich. Ich erinnere mich. Er hieß Jesus und war aus Nazareth!
AGATHON: Ich danke dir! Leb' wohl! Die Götter mögen dir wohlgesinnt sein, Marcellus! (Er geht.)
MARCELLUS (in Gedanken verloren): Jesus! - Jesus! Und war aus Nazareth. (Er geht langsam und gedankenvoll seiner Wege. Es ist Nacht geworden und am Himmel leuchten unzählige Sterne.)

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Maria Magdalena - Agathon - Marcellus - Pilatus - Rahel - Rom - Jesus Christus - Golgatha - Jerusalem

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Verlassenheit

1

Nichts unterbricht mehr das Schweigen der Verlassenheit. Über den dunklen, uralten Gipfeln der Bäume ziehn die Wolken hin und spiegeln sich in den grünlich-blauen Wassern des Teiches, der abgründlich scheint. Und unbeweglich, wie in trauervolle Ergebenheit versunken, ruht die Oberfläche - tagein, tagaus.
    Inmitten des schweigsamen Teiches ragt das Schloß zu den Wolken empor mit spitzen, zerschlissenen Türmen und Dächern. Unkraut wuchert über die schwarzen, geborstenen Mauern, und an den runden, blinden Fenstern prallt das Sonnenlicht ab. In den düsteren, dunklen Höfen fliegen Tauben umher und suchen sich in den Ritzen des Gemäuers ein Versteck.
    Sie scheinen immer etwas zu befürchten, denn sie fliegen scheu und hastend an den Fenstern hin. Drunten im Hof plätschert die Fontäne leise und fein. Aus bronzener Brunnenschale trinken dann und wann die dürstenden Tauben.
    Durch die schmalen, verstaubten Gänge des Schlosses streift manchmal ein dumpfer Fieberhauch, daß die Fledermäuse erschreckt aufflattern. Sonst stört nichts die tiefe Ruhe.
    Die Gemächer aber sind schwarz verstaubt! Hoch und kahl und frostig und voll erstorbener Gegenstände. Durch die blinden Fenster kommt bisweilen ein winziger Schein, den das Dunkel wieder aufsaugt. Hier ist die Vergangenheit gestorben.
    Hier ist sie eines Tages erstarrt in einer einzigen, verzerrten Rose. An ihrer Wesenlosigkeit geht die Zeit achtlos vorüber.
    Und alles durchdringt das Schweigen der Verlassenheit.

2

Niemand vermag mehr in den Park einzudringen. Die Äste der Bäume halten sich tausendfach umschlungen, der ganze Park ist nur mehr ein einziges, gigantisches Lebewesen.
    Und ewige Nacht lastet unter dem riesigen Blätterdach. Und tiefes Schweigen! Und die Luft ist durchtränkt von Vermoderungsdünsten!
    Manchmal aber erwacht der Park aus schweren Träumen. Dann strömt er ein Erinnern aus an kühle Sternennächte, an tief verborgene heimliche Stellen, da er fiebernde Küsse und Umarmungen belauschte, an Sommernächte, voll glühender Pracht und Herrlichkeit, da der Mond wirre Bilder auf den schwarzen Grund zauberte, an Menschen, die zierlich galant, voll rhythmischer Bewegungen unter seinem Blätterdache dahinwandelten, die sich süße, verrückte Worte zuraunten, mit feinem verheißenden Lächeln.
    Und dann versinkt der Park wieder in seinen Todesschlaf.
    Auf den Wassern wiegen sich die Schatten von Blutbuchen und Tannen und aus der Tiefe des Teiches kommt ein dumpfes, trauriges Murmeln.
    Schwäne ziehen durch die glänzenden Fluten, langsam, unbeweglich, starr ihre schlanken Hälse emporrichtend. Sie ziehen dahin! Rund um das erstorbene Schloß! Tagein! tagaus!
    Bleiche Lilien stehn am Rande des Teiches mitten unter grellfarbigen Gräsern. Und ihre Schatten im Wasser sind bleicher als sie selbst.
    Und wenn die einen dahinsterben, kommen andere aus der Tiefe. Und sie sind wie kleine, tote Frauenhände.
    Große Fische umschwimmen neugierig, mit starren, glasigen Augen die bleichen Blumen, und tauchen dann wieder in die Tiefe - lautlos!
    Und alles durchdringt das Schweigen der Verlassenheit.

3

Und droben in einem rissigen Turmgemach sitzt der Graf. Tagein, tagaus.
    Er sieht den Wolken nach, die über den Gipfeln der Bäume hinziehen, leuchtend und rein. Er sieht es gern, wenn die Sonne in den Wolken glüht, am Abend, da sie untersinkt. Er horcht auf die Geräusche in den Höhen: auf den Schrei eines Vogels, der am Turm vorbeifliegt oder auf das tönende Brausen des Windes, wenn er das Schloß umfegt.
    Er sieht wie der Park schläft, dumpf und schwer, und sieht die Schwäne durch die glitzernden Fluten ziehn - die das Schloß umschwimmen. Tagein! Tagaus!
    Und die Wasser schimmern grünlich-blau. In den Wassern aber spiegeln sich die Wolken, die über das Schloß hinziehen; und ihre Schatten in den Fluten leuchten strahlend und rein, wie sie selbst. Die Wasserlilien winken ihm zu, wie kleine, tote Frauenhände, und wiegen sich nach den leisen Tönen des Windes, traurig träumerisch.
    Auf alles, was ihn da sterbend umgibt, blickt der arme Graf, wie ein kleines, irres Kind, über dem ein Verhängnis steht, und das nicht mehr Kraft hat, zu leben, das dahinschwindet, gleich einem Vormittagsschatten.
    Er horcht nur mehr auf die kleine, traurige Melodie seiner Seele: Vergangenheit!
    Wenn es Abend wird, zündet er seine alte, verrußte Lampe an und liest in mächtigen, vergilbten Büchern von der Vergangenheit Größe und Herrlichkeit.
    Er liest mit fieberndem, tönendem Herzen, bis die Gegenwart, der er nicht angehört, versinkt. Und die Schatten der Vergangenheit steigen herauf - riesengroß. Und er lebt das Leben, das herrlich schöne Leben seiner Väter.
    In Nächten, da der Sturm um den Turm jagt, daß die Mauern in ihren Grundfesten dröhnen und die Vögel angstvoll vor seinem Fenster kreischen, überkommt den Grafen eine namenlose Traurigkeit.
    Auf seiner jahrhundertalten, müden Seele lastet das Verhängnis.
    Und er drückt das Gesicht an das Fenster und sieht in die Nacht hinaus. Und da erscheint ihm alles riesengroß traumhaft, gespensterlich! Und schrecklich. Durch das Schloß hört er den Sturm rasen, als wollte er alles Tote hinausfegen und in Lüfte zerstreuen.
    Doch wenn das verworrene Trugbild der Nacht dahinsinkt wie ein heraufbeschworener Schatten - durchdringt alles wieder das Schweigen der Verlassenheit.

 

Fassung: -

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Oberregisseur Friedheim

Es ist ein schwieriges Unternehmen, die fruchtbare, reiche Tätigkeit eines Mannes zu überblicken, der jahrelang in der Öffentlichkeit gewirkt und deshalb auch von der Allgemeinheit seine Beurteilung erfahren hat; es ist schwer, aus solche einem Wirken das Wesentlichste hervorzuheben, es dadurch zu charakterisieren, und all’ das Gewollte, das nur durch die Ungunst der Verhältnisse ungetan bleiben mußte, in Einklang mit dem Geschehenen zu bringen - wie Saat und Ernte.
    Drei Jahre steht Herr Friedheim als künstlerischer Leider dem Stadttheater vor - drei Jahre rastloser, ernster Arbeit kann er überblicken und sich sagen: Ich habe mein Bestes gegeben, ich habe nach bestem künstlerischen Wissen und Gewissen getan. Und so ist es nur billig, daß die Öffentlichkeit der Tätigkeit dieses Mannes jederzeit die Anerkennung zuteil werden ließ, die er ganz verdiente, deshalb auch will ich mich mit der Vorführung des Wesentlichsten genügen.
    Die Saison 1903, die besonders reich an Novitäten war, brachte uns die mustergiltigen Inszenierungen von Halbes ‘Strom’, Werkmanns ‘Kreuzwegstürmer’, Gustav Streichers ‘Stephan Fadinger’, Schönherrs ‘Sonnwendtag’, Beyerleins ‘Zapfenstreich’. Diese Inszenierungen, die zum Teile ungeheure Anforderungen stellten, ließen Herrn Friedhelm als tüchtigen, unermüdlichen Regisseur erkennen. Daß Herr Friedheim als Schauspieler dem Regisseur in keiner Weise nachsteht, davon legten Zeugnis ab Leistungen, die er z.B. im Pfarrer v. Kirchfeld als Wurzelsepp, als Wachtmeister im Zapfenstreich, als Striese, als Stauffacher, als Pater in Renaissance bot. Von den Neuerscheinungen der nächsten Jahre sind besonders zu nennen ‘Traumulus’, der zum Benefize Friedheims in Szene gesetzt wurde, ferner der ‘Schleier der Maya’ und Seebachs ‘Die Unsichtbaren’. In jedem dieser Werke hatte Herr Friedheim die Hauptgestalt zu verkörpern, seine glänzenden Leistungen als Direktor Niemeyer, als Sokrates und Baumeister werden noch in aller Erinnerung sein. Sein Spiel als Franz Moor trug ihm ein Anerkennungsschreiben von Herrn Bürgermeister Berger ein. Nicht unerwähnt seien die Verdienste gelassen, die Friedheim sich um die Aufführung von Wallensteins Lager und des Demetriusfragmentes erwarb. Eine reiche Auslese von Gutem und Bestem gab das heurige Spieljahr. Salzburg war die erste Provinzbühne, die nach Wien Schönherrs ‘Familie’ brachte. Für seine glänzende Regieführung wurde Herrn Friedheim der persönliche Dank des Dichters zuteil. Ferner ist die Aufführung der ‘Brüder von St. Bernhard’ zu nennen, des ‘Privatdozenten’ (Prutz), ‘Klein Dorrits’, und des Tendenzstückes ‘Stein unter Steinen’. Eine Tat, auf die Herr Friedheim mit berechtigtem Stolz zurückblicken kann, war die wunderbare Inszenierung der ‘Salome’.
    Ununterbrochen, tatenfreudig hat Herr Friedheim bis an das Ende sein verantwortungsvolles Amt ausgefüllt, trotz der sich besonders in letzter Zeit häufenden Schwierigkeiten, die ihm von gewisser Seite in den Weg gelegt wurden. Am Samstag nimmt Herr Friedheim in ‘Narziß’ von Salzburg Abschied. An das Publikum zu appellieren, ist wohl in diesem Falle nicht nötig, denn es wird Herrn Oberregisseur Friedheim in Erinnerung an das, was er unserem Theater gewesen, einen Ehrenabend veranstalten - ein kleiner Dank für große Mühe! In der Geschichte unseres Theater aber wird Herr Friedheim einen Ehrenplatz einnehmen, wie wenige - in der Geschichte, wie in der Erinnerung derer, die ihn in diesen Jahren seiner Tätigkeit hochschätzen lernten.

 

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Im Lexikon:
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Gustav Streicher Zu seiner Kurzbiographie klicken!

Dieser Schriftsteller ist aus der österreichischen Provinzliteraturbewegung, einer Folge- und Begleiterscheinung des Naturalismus, hervorgegangen, die ihr Programm mit dem Schlagwort ‘Heimatkunst’ formulierte und die, obwohl über sie genug geschrieben wurde, doch nicht jene Würdigung erfuhr, die ihr wohl hätte zukommen sollen. Mit dem plötzlichen Verebben des Naturalismus, der wie ein Sturm kam und ging, verlor selbstverständlich die Heimatkunst den Boden, in dem sie so tief Wurzel geschlagen hatte, und die ganze Bewegung, die, getragen von der jugendlich überquellenden Kraft eines guten und tapferen Willens, daran war, sich ihre eigensten Bahnen zu brechen, sah sich nun der nährenden und treibenden Kräfte beraubt. Und heute, da ungeahnte Möglichkeiten zu einer zukunftsträchtigen Kunst und dornicht- gefahrvolle Wege sich dem suchenden Blick offenbaren, ist der Sturm und Drang letzter Jahrzehnte eine Erinnerung, die eine erste Blässe deckt.
    Unter den Vertretern ehemaliger Heimatkunst ist Gustav Streicher eine der markantesten Persönlichkeiten, und sein künstlerischer Werdegang ist ebenso interessant als lehrreich. Er fing mit dem Naturalismus an - sein Erstlingswerk „Am Nikolotag" ist von jener schweren, düsteren, heldenmütig-fanatischen Bodenständigkeit, die den konsequentesten Naturalisten eigen ist -, suchte in seinem folgenden Werk „Stephan Fadinger" den Weg zur historischen Tragödie großen Stils, immer noch auf Grund und mit den dichterischen Mitteln des Naturalismus, und fand sich endlich bei Ibsen, in seinem bisher nur wenig bekannten Drama „Liebesopfer", das ein psychologisches Problem subtilster Art mit den Mitteln der modernen Seelenanalyse zu lösen versucht; nach etlichen Jahren scheinbarer Untätigkeit (eine Komödie, die das Problem der modernen Frau umfassend gestalten will, blieb Fragment) zeigt Gustav Streicher sich in einer neuen Phase seiner Entwicklung, als Neuromantiker.
    Die Entwicklung dieses Schriftstellers könnte verwunderlich und seltsam erscheinen, wenn sie nicht aus den zu Anfang geschilderten Verhältnissen ihre natürliche Erklärung fände. Und erklärlich ist es, wenn ein Dichter, dessen Eigenart eine so ausgesprochen dramatische ist, dessen Talent für eine geradlinige Entwicklung vorgeschaffen erscheinen mußte, solch tiefe Krisen durchzumachen hatte. Sein Drama „Mona Violanta", das Streicher Freitag abends im Mirabellsaale las, ist von der Art jener Seelentragödien, wie die Neuromantiker sie lieben. Die einen in kühle Ekstase versetzen, die einen träumen machen, deren Handlung man nicht erzählen sollte, weil soviel dabei verloren geht. Man denkt und träumt dieser seltsamen Violanta nach, die wie ein kühler Schatten durch einen Traum schreitet, fühlt den Ekel, der ihren Leib schüttelt, gedenkt sie des toten Gatten, der mit senilen Perversionen ihren blütenjungen Leib begeifert hat; man glaubt das Gespenst des Toten zu sehen, wenn Violanta ihn an ihrer Seite schreiten sieht, mit scheußlichen, lasterhaften Geberden widerliche Berührung mit seinem Weibe suchend, hört das Weib aufschreien und zusammenbrechen unter der Gewalt der toten Macht, und weiß: die muß des Lebens roheste Gewalten herbeirufen, um den Toten loszuwerden, muß Dirne werden, um nicht in hysterischen Krämpfen zu vergehen. Es ist seltsam, wie diese Verse das Problem durchdringen, wie oft der Klang des Wortes einen unaussprechlichen Gedanken ausdrückt und die flüchtige Stimmung festhält. In diesen Versen ist etwas von der süßen, frauenhaften Überredungskunst, die uns verführt, dem Melos des Wortes zu lauschen und nicht zu achten des Wortes Inhalt und Gewicht; der Mollklang dieser Sprache stimmt die Sinne nachdenklich und erfüllt das Blut mit träumerischer Müdigkeit. Erst in der letzten Szene, da der Kondottiere auftritt, schmettert ein voller, eherner Ton in Dur über die Szene, und in fliegender Steigerung löst sich das Drama in einem dionysischen Gesang der Lebensfreudigkeit.
    Daß der vortragende Dichter nicht völlig vermochte, die ganze Stimmungsgewalt seines Werkes zur Geltung zu bringen, daß manches von den glitzernden Schönheiten seines Dialogs verloren ging, das soll liebenswürdig entschuldigt werden. Das Publikum ist ihm gerne in seine Welt gefolgt und hat’s ihm mit Dankbarkeit gelohnt, daß
er für eine Stunde sie in die Tiefe eines seltsamen Daseins schauen ließ.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Kondottiere

 

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[Jakobus und die Frauen. Roman von Franz Karl Ginskey; L. Staackmanns Verlag, Leipzig.]

In diesem Buch ist Stimmung, leider nur Stimmung. In Stimmung ertrinkt die an und für sich schwächliche Handlung, die Psychologie ist unklar und plätschert auf lieblicher Oberfläche, die Charakteristik der Personen ist dürftig, schemenhaft, verworren. Und für all diese kapitalen Mängel sollen einige hübsche Stimmungsbilder und Lyrismen entschädigen. Nein! Diesem Buch fehlt alles zum Roman, darüber täuscht einen nicht die gesuchte Feierlichkeit eines Stils, der seit Jakob Wassermanns „Renate Fuchs" so fleißig gehandhabt wird, und mit dem die verschrobensten, langweiligsten, seichtesten Dinge pomphaft aufgebauscht werden. Mauvaise music! Und wenn ich überdenke, daß der gallische Roman den Gipfelpunkt eines beispiellosen Formenkultus darstellt, und die russischen Epopöen der Urquell der gewaltigsten Geistesrevolution geworden sind, so gilt mir der Großteil unserer mitteleuropäischen Romanproduktion nicht mehr, als - bedrucktes Papier.

 

Fassung: -

Erstdruck:
-
Im Lexikon:
Mauvaise music

 

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